Wenn wir an der Produktvision arbeiten oder über User Stories reden, stellt sich unweigerlich die Frage nach dem Why?.
«To choose the right vision, ask yourself why you are excited to work on the product, why you care about it, what positive change the product should bring about, and how it will shape the future.»
Roman Pichler
«Who wants the functionality? What it is they want? Why they want it?»
Mike Cohn
Auch in unserem Kurs How to User Story sprechen wir davon, die Frage nach dem Why auf höheren Abstraktionslevels von Stories (aka Epic, Feature) in den Fokus zu nehmen. Also das Problem und/oder Ziel der Stakeholder zu ergründen (Problemraum), bevor Lösungen gesucht und umgesetzt werden.
Als Deutsch sprechende Person (naja, eigentlich Schweizerdeutsch, aber dieses Fass öffnen wir hier nicht) übersetze ich Why unweigerlich ins Deutsche. Sehr oft in Warum. Wie komme ich nun dazu, einen ganzen Blog über Why zu schreiben und was hat das alles mit der Produktvision zu tun?
Ich möchte vorab sagen – was die Semantik von Wörtern betrifft, bin ich alles andere als ein Spezialist. Trotzdem haben mich einige Ereignisse in der nahen und fernen Vergangenheit dazu angespornt, mich mit dem Why auseinanderzusetzen.
Es begann vor etwa zwei Jahren, als mir ein Teilnehmer (seines Zeichens Scrum Master) an einem How to User Story Kurs den Tipp gab, das Englische Why nicht mit Warum, sondern mit Wofür oder Wozu zu übersetzen. Das sei weniger negativ.
Obwohl ich nicht weiter darüber nachdachte, schoss mir die Aussage bei jedem meiner künftigen Warum’s durch den Kopf. Dann, vor ungefähr einem Monat, nahm ich an einem Meet-up teil. Als wir uns die Frage nach dem «Warum agil entscheiden?» stellten, meldete sich ein Teilnehmer und meinte, wir sollten uns vielmehr die Frage «Wofür – oder Wozu – agil entscheiden?» stellen. Da war sie schon wieder, die gleiche Aussage. Aber warum ist Warum nicht passend?
Die Zeichen häuften sich weiter. An einem Workshop vor zwei Wochen erinnerte mich ein Teilnehmer an das sehr sehenswerte Video «Start with why» mit Simon Sinek (dem Kreator des Golden Circles). Und als ob das nicht genug wäre, geht es im Buch The Loop Approach, welches ich vor einigen Tagen zu lesen begann, sehr früh um das Why eines Unternehmens oder eines Teams. Übersetzt übrigens mit Warum. Zu guter Letzt stolperte ich über einen spannenden Blog von Digitale Neuordnung zum oben genannten Golden Circle, in dem unter anderem gefragt wird: «Why – Warum und wofür eigentlich?».
Why do I see everywhere Why? Und macht es einen Unterschied, ob ich auf Deutsch nach dem Warum oder nach dem Wofür frage? Um eine Antwort auf diese Frage zu erhalten, habe ich ein Experiment mit mir selbst gemacht. Wollen Sie auch?
Beginnen wir mit etwas Leichtem – der Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest (vgl. Die Geheimnisse der Zahl 42). Schliessen Sie ihre Augen und fragen Sie sich:
Welche Gedanken kommen Ihnen in den Sinn, welche Bilder haben Sie vor dem inneren Auge? Bei mir waren es die Vorstellung meiner Geburt und Gedanken über eine mögliche höhere Macht, die auf die Idee kam, Leben zu erschaffen. Oder ist doch alles Zufall? Warum bin ich dann hier? Was ist der Ursprung, der Grund?
Schliessen Sie nun erneut die Augen und fragen Sie sich:
Und? Sind es die gleichen Gedanken wie bei der Frage nach dem Warum? Bei mir sind es andere. Ich denke an den Sinn des Lebens. Ich frage mich nach dem höheren Zweck, dem das Leben dienen könnte oder sollte. Wohin die Reise des Lebens geht. Und ob es auch anderes Leben gibt, «da draussen».
Im Buch Per Anhalter durch die Galaxis wird die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest mit «42» beantwortet und darauf hingewiesen, dass die falsche Frage gestellt wurde. Aber wir wollen uns beim Arbeiten mit der Produktvision die richtige Frage stellen. Da finde ich es persönlich hochspannend, dass mein Hirn zu zwei scheinbar gleichbedeutenden Fragen unterschiedliche innere Bilder produziert.
Wie so oft, wenn ich die Bedeutung eines Wortes verstehen möchte, schaue ich im Duden nach.
Jetzt wird mir einiges klarer. Warum fragt nach dem Grund, der Ursache von etwas und möchte erklären, wie wir da, wo wir jetzt sind, hingekommen sind. Es fragt die Vergangenheit ab. Wofür und Wozu hingegen sind in die Zukunft gerichtet. Sie hinterfragen, welcher Sache oder welchem Ziel meine aktuelle oder geplante Tätigkeit dient.
Persönlich vermute ich, dass die Trennung im allgemeinen Sprachgebrauch nicht so scharf ist, wie man anhand der Duden-Definition meinen könnte. Insbesondere in der Schweiz fragt selten jemand nach dem Wofür oder Wozu, da diese Fragepronomen im Schweizerdeutschen gar nicht existieren. Das bedeutet wiederum, das die Interpretation der Frage Warum auch von der kulturellen Prägung einer Person abhängig ist.
In meinen Rollen will ich Zusammenhänge verstehen. Wenn ich als Business Analyst eine Anforderung erhalte, will ich wissen, warum dieser Stakeholder genau diese Anforderung aufbringt und warum sie so wichtig ist. Wenn ich als Product Owner mit dem Team an der Produktvision oder an Features arbeite, wollen wir herausfinden, wofür wir das Produkt bzw. das Feature bauen. Welche Ziele verfolgen die Nutzer oder Käufer des Produkts und wie unterstützen wir sie bei der Zielerreichung?
Wenn ich in diesen Situationen nur nach dem Warum frage, laufe ich Gefahr, lediglich in die Vergangenheit zu blicken. Oder Personen in einen Rechtfertigungsmodus zu bringen («Warum bauen wir diese Feature (und nicht ein anderes)?»).
Wenn ich zusätzlich nach dem Wofür oder Wozu frage, öffnen sich weitere Perspektiven. Ich kann erkennen, welchem höheren Zweck meine Tätigkeit oder ein Feature oder ein Produkt dient. Es hilft mir, die Zusammenhänge zu verstehen. Und wenn ich verstehe, wohin die Reise gehen soll, dann kann ich den Weg entsprechend planen. Oder wie ich es in meinem Infometis-Motto zusammenfasse:
«Verständnis schafft Wert.»
Ihr Benjamin Wyss
Herzlichen Dank, Bernhard Fuchs, für deinen ungemein wertvollen Review!
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